Freiheit und Freihandel
Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen anfängt. Dieser Satz, der Emmanuel Kant zugeschrieben wird, besagt, dass es keine Freiheit ohne Respekt und Gewissen geben kann. Der Freihandel verkauft uns eine verzerrte Vorstellung von Freiheit – eine Freiheit, die darin besteht unter Übernutzung der Ressourcen und Missachtung der Volksrechte, Handel zu betreiben. Eine Freiheit ohne Gewissen und ohne Respekt vor Mensch und Umwelt.
Konsum ohne Grenzen
Jeder Konsument hat die Wahl zwischen Produkten, die soziale und ökologische Standards einhalten und Produkten, die das nicht tun. Ein gutes Beispiel sind Tomaten: im selben Supermarktregal findet man Tomaten, die unter sklavenähnlichen Bedingungen angebaut wurden, direkt neben lokalen Tomaten, deren Produktion die Rechte der Arbeiter respektieren und ausserdem höhere Gesundheit- und Umweltstandards erfüllen.
Konsum ohne Grenzen zerstört den Planeten, führt zur Erschöpfung der Ressourcen und produziert Berge von umweltschädlichem Abfall. Der Freihandel führt zu einer Vervielfachung des Gütertransports rund um die Erde, mit äusserst umweltschädlichen Transportmitteln: mit Schweröl betriebene Schiffe, oder Flugzeuge, die Unmengen Treibstoff verbrauchen, der zudem kaum besteuert wird…
Einer unserer Träume ist es, ohne Lesebrille einkaufen zu können, d.h. ohne die kleingedruckten Produktinformationen auf den Etiketten lesen zu müssen. Wir möchten, dass die in unserem Land getroffenen Entscheidungen zum Schutz von Arbeitern und Umwelt für alle importierten Produkte gelten (Beispiel: Referendum gegen das Cassis-de-Dijon-Prinzip).
Die Grenze als Übergang von einer Gesellschaft zu einer anderen
Der Freihandel hat in unseren Köpfen die Idee festgesetzt, man müsse die Grenzen abschaffen und alles tun, um den Handel zu erleichtern. Die Folgen dieser Öffnung der Grenzen werden jedoch verschwiegen. Die Mehrheit der Bevölkerung nimmt die Frage der Grenzüberschreitung nur unter dem Blickwinkel des Personenverkehrs wahr. In Wirklichkeit befinden sich jedoch auf beiden Seiten einer Grenze Gesellschaften mit einer unterschiedlichen Volkswirtschaft, unterschiedlicher Kaufkraft, unterschiedlichen Produktionsweisen, und unterschiedlichen sozialen und ökologischen Praktiken.
Eine erste negative Auswirkung des freien Warenverkehrs ist die Verzerrung des Wettbewerbs. Während es für Produkte kaum mehr Grenzen gibt, bleiben deren Auswirkungen für die Produzenten weiterhin bestehen, sobald Kosten und Produktionsbedingungen diesseits und jenseits der jeweiligen Grenze nicht dieselben sind.
Verzerrung der Freiheit
Diese Wettbewerbsverzerrung hat auch Auswirkungen auf unsere individuellen und kollektiven Freiheiten, da wir als Bürger keine Möglichkeit haben, uns Gehör zu verschaffen. Man will uns weismachen, der Verbraucher sei König, dabei haben wir in Wirklichkeit jegliche Kontrolle über die Produktionsbedingungen unserer Konsumgüter verloren.
Als Opfer des globalen Systems haben die Bevölkerungen jegliche Möglichkeit verloren, ihre Rechte gegenüber den übermächtigen Multis zu verteidigen. Die Deregulierung durch den Freihandel hat den Konzernen riesige Gewinne eingebracht und ihnen eine supranationale Entscheidungsmacht verschafft.
Einerseits werden wir als Individuen auf vielen Ebenen immer mehr überwacht, anderseits schweben die riesigen Finanzkonzerne vollkommen frei über den Gesetzen. Während wir ständig kontrolliert werden, dürfen die Multis die Ressourcen der Ozeane plündern, und uns billige Geräte verkaufen, ohne Rücksicht auf die Weltbevölkerung und die künftigen Generationen, die die Folgen einer solchen Politik zu tragen haben.
Der Freihandel untergräbt unsere Grundfreiheiten und beraubt uns jeglicher Möglichkeit der Mitbestimmung, sodass wir der Übermacht der Multis vollkommen ausgeliefert sind.
Wirtschaftsfreiheit für wen?
Die Wirtschaftsfreiheit ist das Grundrecht der einzelnen Gesellschaftsmitglieder, untereinander wirtschaftliche Güter auszutauschen.
Eine Mehrheit der Schweizer weigert sich, die entsprechenden Gesetze zu ändern, weil sie die vielbeschworene Wirtschaftsfreiheit schmälern könnten. Es wird befürchtet, dass wirtschaftliche Zwänge die persönliche Konsumfreiheit einschränken könnten.
Eine Gesellschaft kann aber nur funktionieren, wenn kollektiv akzeptierte Vereinbarungen über die Grenzen der individuellen Freiheit existieren. Damit die Freiheit des Einzelnen respektiert wird, braucht es Vereinbarungen und Regeln, die sich am Gemeinwohl orientieren. Gute Beispiele dafür sind die Strassenverkehrsordnung oder Lohnvereinbarungen, die seit langem allgemein akzeptiert sind. Warum verweigern wir also Preisvereinbarungen bei Produkten, die doch das Leben jedes Einzelnen direkt beeinflussen?
Ein soziales Gefüge basiert auf dem gegenseitigen Respekt seiner Mitglieder, der wiederum auf den Vereinbarungen beruht, auf die man sich kollektiv geeinigt hat. Jeder Einzelne spielt in dem Gefüge eine Rolle und er sollte sich seiner Bedeutung bewusst sein. Der Freihandel rüttelt an diesem grundlegenden Zusammenhalt, indem er das lokale Wirtschaftsgefüge untergräbt. Der Einzelne wird nicht mehr als Bürger, sondern nur noch als Konsument, bzw. in seiner Arbeitsmarktfähigkeit wahrgenommen.
Die heutige Wirtschaft ist meist nur noch profitorientiert. Wir wollen, dass die Wirtschaft sich auf ihre eigentliche Bestimmung zurückbesinnt, nämlich die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen.
Für eine lokale Ökonomie
Wir müssen die Kontrolle über die Wirtschaft, bzw. die Produktion der lebenswichtigen Güter zurückgewinnen. Das bedeutet, dass mehr lokal produziert werden muss, und zwar nicht nur bei den Lebensmitteln, sondern auch in allen anderen Bereichen (Maschinen, Baugewerbe usw.).
Eine lokal orientierte Wirtschaft ist eine Wirtschaft, die auch den sozialen Zusammenhalt fördert. Sie bringt die Menschen einander näher, jeder ist sich seiner Funktion in diesem Wirtschaftsgefüge bewusst. Wer sich mit der Arbeit der lokalen Produzenten beschäftigt, dem wird nicht nur der Wert der Produkte wieder bewusst, sondern auch der Wert all dessen, was uns umgibt, wie die Natur und die sozialen Beziehungen, die jeder um sich herum aufbaut. Eine solche Vision steht im Gegensatz zu unserer heutigen Gesellschaft, die den Sinn für den Wert der Dinge verloren hat, und in der es nur noch darum geht, «billig zu kaufen», ohne Rücksicht auf die Menschen, die die Produkte herstellen, oder auf die Umwelt.
In einer lokal orientierten Wirtschaft garantieren Tarifverträge ein bestimmtes Lohnniveau und fördern den gegenseitigen Respekt; Handelsvereinbarungen bewirken, dass sich Partner und Konkurrenten gegenseitig wertschätzen. Viele Gemeinden versuchen derzeit, diese verloren gegangenen sozialen Bindungen wieder zu beleben, z. B. durch Programme zur gemeinsamen Nutzung von Kompostanlagen in einzelnen Stadtvierteln oder durch Strassenmärkte. Diese Bemühungen haben jedoch einen schweren Stand gegenüber der allgegenwärtigen Deregulierung, die die lokale Wirtschaft weitgehend schwächt. Die einzige Möglichkeit, diese Bindungen dauerhaft wiederherzustellen, ist die Wiedereinführung von Regeln zum Schutz der lokalen Produktion.
Recht auf eine qualitativ hochwertige Umwelt
Für die Zukunft unserer Erde muss das Wirtschaftswachstum unbedingt heruntergefahren und der Konsum eingeschränkt werden. Anstatt uns vom Lustprinzip leiten zu lassen, sollten wir der Qualität mehr Beachtung schenken, und einen Konsum anstreben, der möglichst wenig negative Auswirkungen auf Mensch und Natur hat.
Es gilt zu einer Gesellschaft zurückzukehren, in der man sich gegenseitig respektiert, und die mit den Ressourcen sparsam und verantwortungsbewusst umgeht. Eine Gesellschaft, in der der Einzelne in einer qualitativ hochwertigen Umwelt leben darf – einer Umwelt im weitesten Sinn, die alles umfasst, was uns umgibt, Mitmenschen und Natur.
Freiheit und kollektive Werte
Im Grunde genommen geht es um eine moralische Frage: Was sind unsere Werte? Was ist uns wirklich wichtig?
Wollen wir den «freien» individuellen Überkonsum, der die Menschen zermürbt und die soziale und natürliche Umwelt zerstört? Oder wollen wir eine frei gewählte, auf dem Gemeinwohl basierte lokale Wirtschaft, die einzig in der Lage ist, Lebensqualität für alle zu garantieren?
Lassen wir uns nicht mehr ausschliesslich als Konsumenten definieren, werden wir wieder freie Bürger, fordern wir die notwendigen Gesetzesänderungen, um die Kontrolle über unsere Wirtschaft zurückzugewinnen, den künftigen Generationen eine gesunde Umwelt zu hinterlassen und ein sinnstiftendes Zusammenleben zu garantieren.
Unsere Vision:
< Freiheit und Freihandel
> Umwelt schützen, Ressourcen schonen
> Bündnisfreiheit und Protektionismus
> Das Buch: Der Freihandel auf dem Prüfstand
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< Freiheit und Freihandel
> Umwelt schützen, Ressourcen schonen
> Bündnisfreiheit und Protektionismus
> Buch: Le libre-échange remis en cause
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