Die Landwirtschaft ist das erste Opfer des Freihandels. Günstig importierte Produkte machen uns Konkurrenz. Landwirt*innen sollten sich deshalb lautstark für eine staatlich regulierte und geschützte Wirtschaft aussprechen.
Der Befund ist alarmierend: Unsere Gesellschaft konsumiert zu viel, produziert immer mehr Abfälle und Konsumgüter reisen dank umweltschädlichen und billigen Transportmitteln um die Welt. Die Verschmutzung hat das Klima aus dem Ruder laufen lassen. Überall kommt es zu Naturkatastrophen. Immer mehr Menschen sind deshalb in Gefahr.
Die für diese Situation grösstenteils verantwortliche Politik hat einen Namen: freier Markt oder Freihandel. Und sie hat nur ein Ziel: Dank einem deregulierten Markt möglichst hohe Profite erzielen. Doch worauf basiert der Freihandel eigentlich? Seine Befürworter*innen erachten alle wirtschaftlichen oder normativen Regulierungsmassnahmen zwischen Staaten als Hindernis für den Verkehr von Gütern und Reichtum. Die Freihandelsabkommen zielen deshalb ausschliesslich auf die Senkung bzw. die Aufhebung von Einfuhrabgaben. Hinzu kommt die Aufhebung von technischen Hemmnissen (z. B. Herstellungsnormen) oder Massnahmen zum Schutz lokaler Produktion wie Einfuhrkontingente.
Der grösste Erfolg der Befürworter*innen des Freihandels besteht darin, dass es ihnen gelungen ist, den Diskurs von links bis rechts so zu prägen, dass nun alle glauben, die regulierende Rolle des Staates auf ein striktes Minimum begrenzen zu müssen. Sie haben es geschafft, den Protektionismus mit seinen Steuer- und Anti-Dumping-Massnahmen, seinen Massnahmen zum Schutz der Normen sowie der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion zu dämonisieren.
Die Landwirtschaft ihrerseits ist das erste Opfer dieses Freihandels. Für sie ist es unmöglich, mit der Konkurrenz durch importierte Billigprodukte mitzuhalten. Zusätzlich zu den tieferen Produktionskosten „profitieren“ ausländische Produzent*innen oftmals von Umwelt- und Sozialstandards, die weniger anspruchsvoll oder gar inexistent sind. Diese Wettbewerbsverzerrung muss bekämpft werden, damit die lokale Produktion eine gesicherte Zukunft hat.
Lokale Produkte zu schützen heisst primär, das soziale und wirtschaftliche Gefüge zu bewahren, das dem Gemeinschaftsleben Sinn verleiht. Lokal einkaufen und produzieren darf nicht nur das Ziel verfolgen, die globale Erwärmung zu bekämpfen, sondern muss gesellschaftliche Verbindungen fördern. Der grösste Schaden, der die Globalisierung anrichtet, ist die Zerstörung dieses lokalen, sozialen und wirtschaftlichen Gefüges, das uns voneinander abhängig macht. Eines der Ziele des Staates muss es deshalb sein, eine Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zu betreiben, die dieses Gefüge fördert.
In diesem Kontext ergibt Protektionismus durchaus Sinn und hilft, eine nachhaltige Entwicklung zu garantieren. Ein Staat, der die Wichtigkeit erkennt, das zu schützen, was seine Bevölkerung zusammenhält (ihre Produktion, ihre Art zu handeln usw.) – kurz gesagt, ihr Wirtschaftsgefüge – ist ein Rechtsstaat, der sich auch gegenüber anderen Ländern fair verhält.
Viele fordern heute die Umsetzung des Konzepts der Ernährungssouveränität, doch eigentlich benötigen wir auf allen Ebenen Souveränität, gewissermassen als Grundlage unseres Lebens. Um die Umwelt, das soziale und wirtschaftliche Gefüge zu schützen, benötigen wir einen souveränen Staat, der eine Politik der Offenheit, gepaart mit der Idee der Blockfreiheit, gegenüber anderen Ländern und deren Politik wagt. Die von der Welthandelsorganisation (WTO) auf globaler Ebene diktierte Politik der Angleichung ist in Tat und Wahrheit eine Kriegspolitik, deren Waffen Wettbewerbsverzerrung, unlauterer Wettbewerb und Dumping heissen.
Doch nur wenn die Souveränität der Völker und Nationen respektiert wird, kann sich eine Gesellschaft dank der Vielfalt der Möglichkeiten weiterentwickeln und so Fortschritte erzielen. Die Demokratie darf auf keinen Fall durch die internationale Wirtschaftspolitik eingeschränkt werden. Insbesondere dann nicht, wenn uns so Entscheide diktiert werden, die mit den unsrigen im sozialen und ökologischen Bereich nicht vereinbar sind.
Ein neues institutionelles Abkommen mit Europa, das uns die automatische Übernahme seiner Entscheide in Wirtschaftsfragen aufzwingen will, ist ein anschauliches Beispiel für die Freihandelspolitik und darf auf keinen Fall unterzeichnet werden.
Gewähren wir dem Grundsatz des Freihandels Vorrang, wird unsere Demokratie und Souveränität direkt bedroht.
Die Weinbranche und die Landwirtschaft müssen laut und deutlich sagen, dass sie eine regulierte und protektionistische Wirtschaftspolitik wollen.
Zwei Beispiele aus dem Weinbau:
• Die Branche muss die Wiedereinführung von Mengenkontingenten fordern. Seit den Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT, heute WTO) von 1994 wurden diese Mengenkontingente verboten und ausschliesslich durch Zollkontingente ersetzt. Im Gegensatz zu Mengenkontingenten, welche die Einfuhr beschränken, stellt das Zollkontingent keine Begrenzung der Einfuhrmenge dar, sondern gewährt einen präferenziellen Zolltarif, sprich Mindestpreise. Unsere Produkte sind also überhaupt nicht mehr geschützt, im Gegenteil, diese Art von Kontingent ist ein Anreiz, zu sehr niedrigen Preisen zu importieren.
• Die Branche muss die Anwendung von Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe b des Landwirtschaftsgesetzes fordern. Dieser Artikel regelt, wie Zollkontingente zugeteilt werden. Buchstabe b besagt, dass Zollkontingente proportional nach Massgabe der Inlandleistung zugeteilt werden müssen. Die aktuelle Anwendung des Artikels beruft sich auf Buchstabe d und teilt die Kontingente entsprechend der Reihenfolge des Eingangs der Bewilligungsgesuche zu. Vielmehr sollte aber Buchstabe b angewendet und die Anteile an Importkontingenten denjenigen zugeteilt werden, die Schweizer Weine vermarkten. Dies würde deren Bemühungen belohnen und den Winzer*innen einen stabileren Markt mit besseren Preisen gewährleisten.
Diese beiden von der Weinbranche geforderten Massnahmen sind protektionistisch. Sie entsprechen dem Grundsatz des gesunden Menschenverstands und der Kohärenz: «Bevor wir etwas importieren, müssen wir essen, was in unserem Garten wächst.» Die gesamte Landwirtschaft muss Massnahmen zum Schutz für die lokale Produktion fordern.
Die Absenz von Protektionismus hat heute schädliche Folgen für die gesamte Gesellschaft:
- Import vom anderen Ende der Welt auf umweltschädlichen Schiffen
- Verschwendung, indem billig importierte Güter auf den Markt gebracht werden
- Import von Gütern schlechter Qualität, die nicht reparier- und/oder wiederverwertbar sind.
- Verknappung der Ressourcen durch übermässigen Konsum, der durch niedrige Preise gefördert wird.
- Explosion der Abfallmengen
- Verschwinden der lokalen industriellen Produktion (z. B. Solarpanels)
- Dumping und Billigpreise treiben die industrielle Landwirtschaft voran, während kleine Familienbetriebe einer nach dem anderen verschwinden.
Die Debatte über ein neues Handelsabkommen mit Europa oder auch das geplante Abkommen mit den MERCOSUR-Staaten müssen für alle Bäuer*innen Anlass sein, NEIN zum Freihandel zu sagen – und zwar ganz deutlich!
Fordern wir Gesetze, die unsere Landwirtschaft, unsere Lebensmittel und unser soziales und wirtschaftliches Gefüge schützen!
Willy Cretegny – Präsident La Vrille
in Uniterre Zeitung vom März 2024 veröffentlicht
Übersetzung: Pascoum’s InTerreTexte